Sehr geehrter Herr Bundespräsident, sehr geehrter Herr Bundestagspräsident, meine Damen und Herren!
Es ist mir eine große Ehre, eingeladen worden zu sein, bei diesem feierlichen und besonderen Anlass heute zu sprechen, und gemeinsam mit Ihnen aller Opfer von Krieg und Gewaltherrschaft zu gedenken. Es erfüllt meine Frau und mich mit großem Stolz, in diesem denkwürdigen Jahr, in dem wir fünfundsiebzig Jahre Frieden und Freundschaft feiern dürfen, wieder einmal nach Deutschland zu kommen und die starken Bande zwischen unseren beiden Ländern zu erneuern.
Seit ich gerade einmal 13 Jahre alt war, bin ich immer wieder nach Deutschland gekommen, und Berlin habe ich erstmals vor fast fünfzig Jahren besucht. Im Laufe der Jahrzehnte ist mir immer wieder aufgefallen, auf welch vielfältige Weise diese bemerkenswerte Stadt so viel von der Geschichte unseres Kontinents und allem, was wir durchlebt haben, verkörpert. Die Verheerungen des Krieges und die Tragödie der Teilung hat Berlin nicht nur durchgestanden, sondern darüber triumphiert; befreit von falschen und verzerrten Ideologien konnten sich Hoffnung und der menschliche Geist durchsetzen.
Berlin erinnert uns daran, dass die Schicksale aller Europäer seit Jahrhunderten ineinander verflochten sind. Unsere heutigen Beziehungen stützen sich auf Fundamente, die tief in das Grundgestein unserer gemeinsamen Erfahrung gegraben wurden und durch Streben verankert sind, die nach Nord und Süd, nach Ost und West verlaufen, quer durch unsere vielfältigen Gemeinschaften und über unsere Grenzen hinweg.
Die Verbindungen zwischen der britischen und der deutschen Bevölkerung reichen zurück bis mindestens ins Römische Reich. Sie entwickelten sich in einer gemeinsamen Zivilisation weiter, bildeten im Lauf der Jahre ein Gewebe hin- und herverlaufender Fäden. Für viele von uns sind diese Verbindungen persönlicher Natur, wir haben familiäre Bindungen und Beziehungen, die uns auch heute noch lieb und teuer sind.
Unsere Bevölkerungen haben voneinander profitiert, seit mit der Hanse eine Handelspartnerschaft begründet wurde, die auch weiterhin unserem beiderseitigen Wohlstand dient. Doch war das Verhältnis zwischen uns immer viel mehr als ein rein geschäftliches. Wir betrachten einander seit langem mit einer gewissen Faszination, bewundern die Kultur der Anderen und lassen uns von ihren Ideen inspirieren. Wir haben einander beeinflusst und voneinander geborgt, in einem Circulus virtuosus von Verbindungen, die unser beider Länder gestärkt und bereichert haben.
Dafür gibt es unzählige Beispiele. Ein Deutscher, Hans Holbein der Jüngere, war der erste gefeierte Künstler in England. Ein halbes Jahrhundert später wurde Deutsch zur ersten Sprache, in die Shakespeare übersetzt wurde. Der englische Landschaftsgarten wurde von Fürst Leopold III. von Anhalt-Dessau nach Deutschland gebracht. Inspiriert von den Vorbildern in Stourhead und Stowe legte er den herrlichen Park von Wörlitz an, dessen stolzer Schirmherr ich bin.
Wie die britische musikalische Tradition ohne den Einfluss von Bach, Beethoven oder Brahms aussehen würde, lässt sich schwer vorstellen; und die Musik von Georg Friedrich Händel, der als Deutscher geboren wurde, aber als Brite starb, wurde bei der Krönung jedes britischen Monarchen seit der meines 7-maligen Urgroßvaters König Georg II. aufgeführt.
Während des gesamten neunzehnten Jahrhunderts wurde das britische Leben in Wissenschaft und Kunst von deutschen Gedanken geprägt, teilweise auch dank der führenden Rolle meines Urururgroßvaters, des Prinzgemahls Prinz Albert. Deutsch war für britische Akademiker eine überaus wichtige Fremdsprache in Zeiten, in denen die deutsche Einwanderung nach Großbritannien deutlich zunahm und die Handelsbank Schroders und die Nachrichtenagentur Reuters zur Gestaltung der globalen Rolle Londons beitrugen.
Es war gar nicht so ungewöhnlich, wie es vielleicht heute scheinen mag, dass bei Ausbruch des Ersten Weltkriegs vier Mitglieder des britischen Kabinetts an deutschen Universitäten studiert hatten. Und erstaunlicherweise strömten in den Jahren nach diesem Krieg britische Studenten erneut nach Deutschland, um deutsche Kultur zu erleben – eine Erfahrung, die sie und ihre Eltern als unverzichtbar für ihre Bildung betrachteten.